Spannende Frauenfiguren und Brüche mit Leinwandklischees: Die Highlights der Berlinale 2018
Die Berlinale 2018 stand ganz im Zeichen der Frauen – und das, obwohl mit Emily Atef, Laura Bispuri, Adina Pintilie und Malgorzata Szumowska nur vier Regisseurinnen im Wettbewerb vertreten waren. Inhaltlich nämlich hielten sich männlich und weiblich zentrierte Geschichten im Wettbewerb beispielsweise in etwa die Waage. Und in der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ stellten die Regisseurinnen mit 10 zu 6 sogar die Mehrheit der Filmemacher_innen.
Touch Me Not © Manekino Film, Rohfilm, Pink, Agitprop, Les Films de l’Etranger
Am Ende hagelte es dann zahlreiche Preise. Für ihren fluiden Mix aus Dokumentar- und Spielfilm TOUCH ME NOT erhielt die rumänische Filmemacherin Adina Pintilie den Goldenen Bären. Diese Entscheidung war auch insofern überraschend, als dass während der Pressevorführung auffällig viele Anwesende nahezu flüchtend den Saal verließen. Die intensive und sehr persönliche Studie über Berührung und Intimität, in der auch Körper jenseits normierter Schönheitsideale als sexuelle Akteur_innen auftraten, schien einige Zuschauer_innen zu stark herauszufordern.
Ebenfalls prämiert wurde Malgorzata Szumowska, die mit ihrem dritten Spielfilm in Folge im Berlinale Wettbewerb vertreten war. Den Großen Preis der Jury in Form des Silbernen Bären erhielt sie für ihren gelungenen, bitterkomischen Film MUG, in dem sie das Thema Fremdenfeindlichkeit satirisch verkleidet als Geschichte über eine Gesichtstransplantation erzählt.
Figlia Mia © Vivo Film, Colorado Film, Match Factory Productions, Bord Cadre Films, Valerio Bispuri
Aber auch die nicht prämierten Werke von Regisseurinnen stachen im Wettbewerb positiv hervor. Laura Bispuris FIGLIA MIA, über die Dreiecksbeziehung eines Mädchens zu ihrer biologischen wie auch ihrer Adoptivmutter überzeugt vor allem durch die sensible Figurenzeichnung, die eine sehr glaubwürdige Verhandlung verschiedener Formen von Weiblichkeit und Mutterschaft ermöglicht. Der deutsche Beitrag 3 TAGE IN QUIBERON von Emily Atef fällt ebenfalls durch seine Schauspieler_innen auf, insbesondere Maria Bäumer, die als zugleich verletzliche wie auch kämpferische Romy Schneider zu überzeugen weiß.
Las Herederas © Lababosacine
Doch auch in anderen Wettbewerbsbeiträgen waren spannende Frauenfiguren und Brüche mit Leinwandklischees zu finden. So erzählt LAS HEREDERAS von Marcelo Martinessi die Emanzipationsgeschichte einer Heldin, die auf Grund der Haftstrafe ihrer Lebensgefährtin in vielerlei Hinsicht erstmalig auf sich allein gestellt ist. Hauptdarstellerin Ana Brun wurde für ihre subtile Darstellung dieser komplexen Persönlichkeitsentwicklung ebenfalls mit einem Bären ausgezeichnet.
Damsel © Strophic Productions Limited
In Hinblick auf Geschlechterstereotypen stellte insbesondere der US-amerikanische Beitrag DAMSEL von David und Nathan Zellner ein Highlight dar, in dem die klassische Rollenverteilung des Western-Genres gehörig auf den Kopf gestellt wird. Die titelgebende „Damsel“, die vom Helden vermeintlich aus einer Gefangenschaft befreit muss, erweist sich als der Rettung überraschend unwillig und letztlich als stärkste Figur inmitten einer Parade feiger und neurotischer Männer. Bei der Kritik und der Internationalen Jury fiel der Film durch. Dem lachenden Premierenpublikum aber war der Unterhaltungsfaktor der Western-Komödie deutlich anzumerken.
Auch Abseits des Wettbewerbs gab es mehrere Filme, die erfolgreich mit tradierten Geschlechterrollen brachen und aus denen hier beispielhaft drei deutsche Produktionen hervorgehoben werden sollen.
Rückenwind Von Vorn © Von Oma Gefördert
Mit RÜCKENWIND VON VORN nimmt sich der Berliner Regisseur Philipp Eichholtz zum wiederholten Male der Geschichte einer starken Frauenfigur an. Wo seine Heldin Charlie (Victoria Schulz) heimlich weiter die Pille nimmt und sich nach abenteuerlichen Reisen sehnt, ist es ihr Freund Marco (Aleksandar Radenković), der auf Familiengründung und Nestbau drängt. Charlie ist dabei freilich nur auf der Leinwand eine ungewöhnliche Figur, die wiederum für zahlreiche reale Frauen ein großes empowerndes Identifikationspotential bieten sollte. Und auch der sensible und familienorientierte Marco stellt eine willkommene Abwechslung zu den traditionell stets überlegenen und souveränen Männerfiguren aus Film und TV dar.
Styx © Benedict Neuenfels
Eine ganz neue Heldin und damit auch eine Form der weiblichen Aneignung eines Genres bietet der Film STYX von Wolfgang Fischer. Der abenteuerliche Segelturn von Hauptfigur Rike (Susanne Wolff) erinnert stark an den mit Robert Redford prominent und natürlich männlich besetzten Film ALL IS LOST. Doch bei Wolfgang Fischer ist es nicht die Heldin selbst, die in Seenot gerät, sondern ein Boot Geflüchteter, dem Rike auf hoher See begegnet. Mitten auf dem Ozean sieht die Ärztin sich mit großen moralischen Herausforderungen konfrontiert, wenn sie entscheiden muss, wie und ob sie den Menschen auf dem sinkenden Boot zur Hilfe eilen kann und möchte.
Jibril © Carolina Steinbrecher
Mit JIBRIL verfolgt Debütregisseurin Henrika Kull einen interdisziplinären Ansatz. In ihrer Liebesgeschichte über Gefängnismauern hinweg, entwirft sie nicht nur eine starke und unabhängige Heldin, sondern bricht auch mit mehreren Stereotypen muslimischer Filmfiguren. Maryam (Susanna Abdulmajid) wechselt wie ihre beste Freundin problemlos zwischen akzentfreiem Deutsch und arabisch. Die eine trägt Kopftuch, die andere nicht, und beide haben diese Entscheidung selbst und aus Überzeugung getroffen. Jibril (Malik Adan), der im Gefängnis eine mehrjährige Haftstrafe absitzt und sich dennoch auf eine Liebesbeziehung mit Maryam einlässt, verkörpert zugleich männliche Überlegenheit und Stärke wie auch in Momenten der Verzweiflung die toxische Wirkung dieser stereotypen Anforderungen.
Geschichten über Frauen und insbesondere solche, die sich von Geschlechterklischees distanzieren, mögen noch immer in der Minderheit sein. Doch es gibt sie und es werden immer mehr. Insbesondere die Tatsache, dass weiblich zentrierte und empowernde Geschichten auch von Regisseuren erzählt werden, zeigt deutlich, dass sich auf der Leinwand in dieser Hinsicht etwas bewegt – mit kleinen Schritten, aber doch definitiv in die richtige Richtung.
Dieser Beitrag wurde verfasst von Sophie Charlotte Rieger von http://filmloewin.de.