Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität im Kino

Diversität im deutschen Film

Eine neue Analyse der Universität Rostock ist der Frage nachgegangen, ob Frauen und Männer im deutschen Kino gleichermaßen repräsentiert sind. Die Untersuchung wurde mit der MaLisa Stiftung sowie ihren Partnerinstitutionen auf den Weg gebracht. Die Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität, die von Professorin Elizabeth Prommer vom Institut für Medienforschung der Universität Rostock geleitet wurde, zeigt, dass der Anteil von Frauen auf der Leinwand seit 2017 zwar zugenommen hat. Allerdings sind Frauen weiterhin weniger vielfältig sichtbar.

Eine erste Erhebung von 2017 hat gezeigt, dass die Zahl der Frauen und Männer, die auf der Kinoleinwand zu sehen sind, ungleich verteilt ist. Die aktuelle Analyse von Geschlechterdarstellungen in deutschen Kinofilmen von 2017 bis 2020 stellt nun heraus, dass Frauen zwar inzwischen fast ebenso häufig als Protagonistinnen sichtbar sind wie Männer, weiterhin jedoch weniger vielfältige Rollen besetzen.

Zudem zeigte die Untersuchung, dass der Anteil von Frauenfiguren, die älter als dreißig Jahre alt sind, weiterhin abnimmt und mehr als zwei Drittel der zentralen Figuren mit einem Alter über fünfzig männlich sind. Während Protagonistinnen und Protagonisten mit zunehmendem Alter im deutschen Kino insgesamt seltener werden, ist dies bei Frauen schon ab Mitte 30, bei Männern erst ab einem Alter von fünfzig Jahren der Fall.

Durchweg ist das Bild der im Kino sichtbaren Frau stark begrenzt: Sie ist jung, schlank und wird im Kontext von Partnerschaft und Beziehung erzählt. Männer hingegen haben erkennbare Berufe, sind auch mal übergewichtig und werden insgesamt vielschichtiger dargestellt.

So zeigen deutsche Kinofilme inzwischen zwar mehr Frauen in Hauptrollen, aber bilden nicht die Vielfalt von Frauen in der Realität ab.

 

Die Analyse zeigt auch, dass Frauen als Kreative hinter der Kamera weiterhin unterrepräsentiert sind. So inszenierten sie ein Viertel der deutschen Kinofilme zwischen 2017 und 2020 und waren in 24 Prozent der 390 untersuchten Filme für das Drehbuch verantwortlich.

Führte eine Frau Regie oder schrieb das Drehbuch, waren auch deutlich mehr Frauen im Film sichtbar.

Durchgeführt wurde die unabhängige Studie von Professorin Elizabeth Prommer vom Institut für Medienforschung der Universität Rostock. Gefördert wurde sie von der Film- und Medienstiftung NRW, dem Medienboard Berlin-Brandenburg, der Filmförderungsanstalt FFA, dem FilmFernsehFonds Bayern, den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF, den privaten Sendern RTL Deutschland und ProSiebenSat.1 sowie der MaLisa Stiftung.

Zur Methodik: 

Für die Analyse wurden alle 390 majoritär deutschen Spielfilme mit 851 Protagonist*innen, die in den Jahren 2017 bis 2020 uraufgeführt wurden, nach Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, Behinderung, Migrationshintergrund und "ethnische Herkunft" der Protagonist*innen untersucht.

Vertiefend wurden die jeweils 100 erfolgreichsten Arthaus- und Mainstream-Kinofilme untersucht. Für diese Filme wurde anhand des Bechdel-Wallace-Test untersucht, inwieweit Frauen auf Partnerschaft und Beziehung mit Männern reduziert werden.

In der Stichprobe konnten nicht-binäre und Menschen mit anderen Geschlechtsidentitäten so gut wie nicht identifiziert werden. Die Ergebnisse werden deshalb nur nach Männern und Frauen ausgewiesen.

ZENTRALE ERGEBNISSE

 

Nahezu ausgeglichenes Geschlechterverhältnis bei den Hauptrollen:

  • In den Jahren 2017-2020 hatten annähernd gleich viele Frauen (47%) wie Männer (53%) eine zentrale Rolle. Dies entspricht einem Zuwachs von 5%.

 

Frauen werden noch immer eingeschränkt inszeniert: 

  • Es gibt weiterhin einen Alters-Gap: Frauen in der Altersgruppe bis Mitte 30 kommen gleich häufig vor, dann sukzessiv seltener. Das größte Ungleichgewicht besteht in der Altersgruppe 50plus Jahre. Hier werden 70% der zentralen Filmrollen von Männern verkörpert.
  • Protagonistinnen sind im Gegensatz zu Protagonisten nie übergewichtig und fast drei Mal so häufig (sehr) dünn.
  • Bei männlichen Hauptfiguren ist der Beruf häufiger erkennbar als bei weiblichen und die Position häufiger gehoben.
  • Frauen kommen nach wie vor häufiger im Kontext von Partnerschaft und Beziehung vor.

 

Frauen sind als Kreative unterrepräsentiert: 

  • 25% der Filme wurden von Frauen inszeniert.
  • Bei 24% der Filme hat eine Frau das Drehbuch verfasst, bei 58% ein Mann. Bei 18% der Drehbücher waren gemischte Teams verantwortlich, somit waren Männer an 76% der Drehbücher beteiligt.
  • Für die Sichtbarkeit von Protagonistinnen spielt das Geschlecht des kreativen Teams eine Rolle. Je mehr Frauen in verantwortlicher Position sind, desto mehr Frauen sind im Film zu sehen
  • Führt eine Frau Regie, dann sind die Themen der Frauenfiguren erweitert. In diesem Fall bestehen 90% der Filme den Bechdel-Wallace-Test. Der Bechdel-Wallace-Test untersucht, inwieweit Frauen auf Partnerschaft und Beziehung mit Männern reduziert werden.

 

FORTSCHRITTSSTUDIE ZUR AUDIOVISUELLEN DIVERSITÄT IM KINO | MÄRZ 2022

Ergänzende Ergebnisse aus der Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität im Kino

 

Ergänzende Ergebnisse nehmen zusätzlich die Dimensionen Migrationshintergrund, ethnische Zuschreibung, sexuelle Orientierung und Behinderung in den Blick. Sie zeigen einen deutlichen Mangel an Diversität im deutschen Kino.

Die von Professorin Elizabeth Prommer vom Institut für Medienforschung der Universität Rostock geleitete Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität ist um aktuelle Ergebnisse ergänzt worden. Es wurden die Sichtbarkeit und Darstellung der Vielfaltsdimensionen Migrationshintergrund, ethnische Zuschreibung*, sexuelle Orientierung und Behinderung in deutschen Kinofilmen von 2017 bis 2020 untersucht. Die Ergebnisse wurden am 25.3.2022 im Vorprogramm der Tagung des FILMFEST MÜNCHEN und der Evangelischen Akademie Tutzing zum Thema Sehen und gesehen werden. Teilhabe im Film präsentiert. Die Veranstaltung war als Livestream öffentlich zugänglich.

Frauen werden kaum vielfältig dargestellt

 

Die Ergebnisse offenbaren einen deutlichen Mangel an Diversität auf den Leinwänden der deutschen Kinos. Sexuelle Orientierung, Migrationshintergrund und ethnische Zuschreibung sind nicht so vielfältig sichtbar wie in der Bevölkerung verteilt. Augenfällig ist dabei, dass Männer in nahezu allen Diversitätskategorien häufiger repräsentiert sind als Frauen. Frauen hingegen werden oft im Kontext von Partnerschaft und Beziehung erzählt und schlank, heterosexuell und ohne Behinderung dargestellt.

Protagonist*innen mit Behinderung sind fast so häufig sichtbar wie in der Gesellschaft

 

Menschen mit Behinderung kommen im deutschen Kino fast so häufig vor wie in der Gesellschaft. Jedoch gilt dies vor allem für männliche Protagonisten. Frauen mit Behinderung sind in deutschen Filmen nur äußert selten zu sehen.

Nicht heterosexuelle Protagonist*innen sind unterrepräsentiert

 

Deutsche Kinofilme sind insgesamt sehr heteronormativ: Nur rund drei Prozent der Protagonist*innen sind als nicht heterosexuell lesbar. Zum Vergleich: Laut einer repräsentativen Studie von IPSOS von 2021 ordnen sich rund elf Prozent der Deutschen als nicht heterosexuell ein.

Protagonist*innen mit Migrationshintergrund sind unterrepräsentiert

 

Menschen mit Migrationshintergrund sind im deutschen Kino deutlich unterrepräsentiert. Sie stellen lediglich 15 Prozent aller Protagonist*innen dar, im Vergleich zu ihrem Anteil in der Bevölkerung von über 26 Prozent.

*Die umfassenden Ergebnisse der “Sichtbarkeit auf dem Prüfstand: Fortschrittsstudie zur audiovisuellen Diversität - Kino  & Vielfalt” inkl. Definition von Migrationshintergrund und ethnischer Herkunft stehen hier zum Download bereit.

Fotocredit: Joshua Rawson Harris, Unsplash