Donnerstag, 22. Oktober 2020

„Auch Streaming-Serien spiegeln nicht die Gesellschaft wider“


Welche (Rollen-)Bilder vermitteln Streaming-Angebote in Bezug auf Geschlecht, sexuelle Orientierung und ethnische Vielfalt? Eine von der Film- und Medienstiftung NRW, dem ZDF und der MaLisa Stiftung geförderte Studie liefert dazu erstmals eine Untersuchung der in Deutschland abrufbaren Streaming- und SVOD-Serien.

Die Studie „Geschlechterdarstellungen und Diversität in Streaming- und SVOD-Angeboten“ wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Elizabeth Prommer am Institut für Medienforschung der Universität Rostock durchgeführt. Untersucht wurden knapp 200 Serien von Anbietern wie Netflix, Amazon Prime, Sky und TNT Deutschland, die zwischen Januar 2012 und Juli 2019 veröffentlicht wurden. Dabei handelt es sich um deutsche und internationale Produktionen.


“Mit unserer Beteiligung an dieser Studie wollen wir zur Transparenz auf dem Streaming-Markt beitragen, für den bislang keine Erkenntnisse vorlagen“, so Dr. Florian Kumb, Leiter der ZDF-Hauptabteilung Programmplanung, zu den Beweggründen des Senders, die Studie zu unterstützen.


Auch für die Geschäftsführerin der Film- und Medienstiftung NRW, Petra Müller, füllt die Studie eine wichtige Lücke: „Der Diskurs über Frauenbilder und Diversität in den Medien hat spürbare Veränderungen angestoßen. Lineares Fernsehen, Film, YouTube, Streaming-Serien – die Studien der Uni Rostock schaffen Bewusstsein, sie liefern Daten und Fakten, mit denen sich die Verantwortlichen und Kreativen der Branche auseinandersetzen müssen. Deshalb ist die Film- und Medienstiftung NRW als Förderer von Beginn an mit Überzeugung dabei.“



Die Kernergebnisse der Untersuchung zeigen:

Frauen sind im Vergleich zu Männern auch in Streaming-Angeboten unterrepräsentiert, ihre Vielfalt ist eingeschränkt, Geschlechterstereotype bleiben verankert: Frauen kommen seltener vor, sind jung und haben genormte schlanke Körper. Sie treten in Berufen auf, die ihre emotionale Kompetenz betonen. Deutsche Produktionen zeigen mit 35 Prozent am wenigsten Frauen in zentralen Rollen. Insgesamt gibt es einen deutlichen Altersgap: Zentrale Rollen ab 35 Jahren sind fast doppelt so oft mit Männern wie mit Frauen besetzt. Ab 50 Jahren beträgt das Verhältnis 3:1.

Die untersuchten Streaming-Angebote zeigen insgesamt vielfältige sexuelle Lebensentwürfe. Unter den zentralen Figuren, bei denen eine sexuelle Orientierung erkennbar ist, sind 9 Prozent LSBQ (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Queer). Allerdings werden Männer fast doppelt so oft homosexuell dargestellt wie Frauen.

Nicht-binäre und Personen mit anderen Geschlechtsidentitäten kommen kaum vor. Sie sind in den Produktionen aller Länder nur in neun von 1.911 Fällen (0,5 %) in zentralen Rollen zu sehen. In deutschen Produktionen sind sie gar nicht vertreten.

In Bezug auf ethnische Zuschreibung sind die untersuchten Streaming-Angebote insgesamt divers. In nationalen Kontexten überwiegt jedoch die Sichtbarkeit der Mehrheitsbevölkerung. Insgesamt sind 63 Prozent der zentralen Rollen „weiß“ besetzt. In deutschen Produktionen trifft dies auf 89 Prozent zu. Keine der zentralen Rollen ist als Schwarz oder asiatisch zu lesen, 11 Prozent können dem Mittleren Osten zugerechnet werden.


Für Maria Furtwängler, Co-Gründerin der MaLisa Stiftung, verdeutlichen die Befunde „wie wichtig es ist, dass man gefühlten Wahrheiten Fakten gegenüberstellt. Und die zeigen: In einigen Punkten mögen internationale Streaming-Angebote insgesamt diverser sein als die klassischen, linearen. Bei der Darstellung von Frauen sind sie es jedoch keineswegs. Wie schade, dass das Publikum weiterhin auf weibliche Vorbilder in all ihrer Vielfalt verzichten muss.“


Dass Streaming- und SVOD-Angebote nicht so vielfältig sind, wie man gemeinhin annehmen könnte, kann auch die Leiterin der Studie Prof. Dr. Elizabeth Prommer, bestätigen: “Auch Streaming-Serien spiegeln nicht die Gesellschaft wider: Frauen sind weniger vielfältig dargestellt als Männer. Sie kommen seltener vor, sind jünger, schlanker und nur in bestimmten Berufen zu sehen. Nicht-binäre und Figuren mit anderen Geschlechtsidentitäten tauchen so gut wie gar nicht auf. Und was die Sichtbarkeit ethnischer Vielfalt betrifft, dominiert die jeweilige Mehrheitsbevölkerung.“


Eine ausführliche Zusammenfassung der Ergebnisse inklusive Grafiken finden Sie hier. Die Gesamtergebnisse finden Sie hier.