Donnerstag, 23. September 2021

Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche: Studie zeigt deutlichen Handlungsbedarf

© Florian Trykowski

Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche wird zunehmend thematisiert. Es gibt bisher jedoch nur wenige Untersuchungen zur Situation in Deutschland. Um dies zu ändern, hat die Initiative Keychange in Kooperation mit der MaLisa Stiftung eine Studie initiiert, für die Mitarbeiter*innen von Unternehmen der Musikbranche, Musikschaffende und Konsument*innen zu ihrer Wahrnehmung von Geschlechtervielfalt, geschlechtsspezifischen Barrieren, Herausforderungen und Maßnahmen für mehr Chancengerechtigkeit befragt wurden. Die Ergebnisse wurden im Rahmen des Reeperbahnfestivals vorgestellt.

Die MaLisa Stiftung erweitert ihre Arbeit zur Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche und widmet sich 2021 auch stärker der Datenerhebung in diesem Kontext. Dafür kooperierte sie mit der internationalen Initiative Keychange, die in Deutschland durch das Reeperbahnfestival vertreten wird, für die “Studie zur Geschlechtervielfalt in der Musikwirtschaft und zur Musiknutzung”. Durchgeführt wurde die Erhebung vom Meinungsforschungsinstitut Kantar.

Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen und Männer die Chancengleichheit in der Branche sehr unterschiedlich bewerten. Dies gilt sowohl für die Einschätzung des Status Quo als auch für die Wahrnehmung von Verbesserungen in den letzten fünf Jahren. Desweiteren zeigt sich, dass nahezu jede der befragten Frauen schon einmal diskriminierende Erfahrungen in Bezug auf ihr Geschlecht gemacht hat. Bei Musik-Konsument*innen wurde deutlich, dass verschiedene Altersgruppen unterschiedliche Perspektiven haben. Eine Reihe möglicher Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit wurde von den Befragten bewertet.


Studienkonzept und Methodik

Für die Studie wurden von April bis August 2021 verschiedene Befragungen durchgeführt und durch Informationen aus externen Quellen ergänzt.

  • Befragung der Musikwirtschaft: Online-Befragung von Mitarbeiter*innen der 15 an der Studie beteiligten Verbände (344 Interviews).
  • Expert*innen-Interviews: Qualitative Tiefeninterviews mit Künstler*innen, Musikmanager*innen und Konzertveranstalter*innen (25 Interviews).
  • Befragung von Konsument*innen: Online-Befragung von Musikkonsument*innen im Alter von 16-69 Jahren (2.002 Interviews).
  • Weitere Quellen: Hinzuziehung von Daten aus anderen Publikationen und frei verfügbaren Quellen.

Definitionen

  • Musikwirtschaft: Mit „Musikwirtschaft“ ist der professionelle Wirtschaftsbereich gemeint, der sich mit der Produktion, Werbung und dem Vertrieb von Musik als Ware im ökonomischen Sinne befasst.
  • Geschlecht: Im Zuge der Erhebungen wurde das Geschlecht der Teilnehmer*innen abgefragt. Hier gab es neben der Angabe von „männlich“ bzw. „weiblich“ auch die Möglichkeit, sich als „divers“ zu identifizieren. Aufgrund einer sehr geringen Fallzahl (n=4) konnte für diese Gruppe jedoch keine separate Ausweisung erfolgen. Vor diesem Hintergrund werden die Ergebnisse nur getrennt nach Frauen und Männern dargestellt.
  • Geschlechtervielfalt: Mit „Geschlechtervielfalt“ ist eine Mischung aus z.B. männlichen, weiblichen oder abinären Künstler*innen gemeint, die alle Geschlechter umfasst (also nicht nur solche, die sich einem bestimmten Geschlecht zugehörig fühlen, sondern auch alle Personen, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen). In Bezug auf Musik ist die ausgewogene Präsenz aller Geschlechter, z.B. in Bezug auf deren Auftritte bei Festivals, gemeint.



KERNERGEBNISSE DER UNTERSUCHUNG:

  1. Es besteht Handlungsbedarf im Hinblick auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Musikwirtschaft

    Bestehende Geschlechterungleichheiten

  • Frauen bewerten den Status Quo bzgl. der Chancengleichheit in der Musikwirtschaft kritisch. Lediglich ca. jede siebte Frau in der Stichprobe ist der Ansicht, dass Männer und Frauen gleiche Chancen haben. Männer und Frauen nehmen die Chancengleichheit sehr unterschiedlich wahr.
  • Nahezu jede der befragten Frauen aus der Musikwirtschaft hat schon einmal diskriminierende Erfahrungen in Bezug auf Ihr Geschlecht erlebt.
  • Frauen sehen sich deutlich stärker als Männer mit Barrieren in ihrer beruflichen Weiterentwicklung konfrontiert, insbesondere: Stereotype, Vorurteile und Männerseilschaften.
  • Das alles wirkt sich nachteilig auf die Karrieren von Frauen aus, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass Frauen seltener in Führungspositionen vertreten sind und im Durchschnitt weniger verdienen als Männer.

    Maßnahmen zur Verbesserung

  • Auf die nachwachsende Generation kommt es an: Eine Mehrheit hält die gezielte Förderung junger Menschen in Sachen Geschlechtergleichstellung für eine sinnvolle Maßnahme. Auch Mentorings und weibliche Netzwerke werden als sinnvoll erachtet.
  • Bislang sind jedoch zu wenige Maßnahmen ausreichend umgesetzt. Daher braucht es wirksame Maßnahmen, um die größten Hürden wie „Vetternwirtschaft“ und Stereotype aus dem Weg zu räumen – Quoten können ein adäquates Mittel dafür sein.
  • Etwa jede zweite Frau befürwortet Quotenregelungen bei Konzerten/Festivals oder bei Führungskräften. Bei den Männern befürwortet dies nur etwa jeder Dritte.

  1. Das Thema Geschlechtervielfalt ist in der Breite bei Musikkonsument*innen noch nicht angekommen, wird aber zunehmend an Relevanz gewinnen

    Geschlechtervielfalt und Musikvermarktung

  • Die Mehrheit der befragten Akteur*innen in der Musikwirtschaft ist der Ansicht, dass ein hohes Maß an Geschlechtervielfalt die Qualität von Musikangeboten verbessert und sich positiv auf deren Vermarktung auswirkt.
  • Weniger als die Hälfte glauben, dass Musikkonsument*innen aktuell bereits Vielfalt erwarten oder dies ein Kaufkriterium ist. Etwa jede*r Dritte spürt gegenwärtig einen Nachfragedruck von Musikkonsument*innen im Hinblick auf Geschlechtervielfalt.
  • Etwas weniger als jede*r Zweite spricht sich aktuell für eine feste Quote aus, beispielsweise für Konzerte oder Radio Airplay.

    Die Konsument*innensicht
  • Vor allem für jüngere Konsument*innen im Alter von 16-29 Jahren hat Geschlechtervielfalt eine hohe Relevanz.
  • Für die Zukunft wird das Thema Geschlechtervielfalt an Bedeutung gewinnen: Jede*r Dritte würde sich wünschen, dass das Thema stärker in der Öffentlichkeit thematisiert wird, bei den Jüngeren fast jede*r Zweite.
  • Verantwortung sehen die Konsument*innen vor allem bei der Musikwirtschaft, viele sind aber auch bereit, eigene Verantwortung zu tragen.

HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN: MEHR SICHTBARKEIT IN MUSIKWIRTSCHAFT UND VERMARKTUNG SCHAFFEN

Es ist essentiell, dass mehr Sichtbarkeit für Frauen und Geschlechterminderheiten in der Musikwirtschaft geschaffen wird und Chancen eröffnet werden.

Die Quote kann ein wirksames Instrument dafür sein, mehr Gleichberechtigung herzustellen. Empirische Beispiele belegen, dass dort, wo Quoten eingeführt wurden, der Frauenanteil steigt.

Auch Mentorings und weibliche Netzwerke werden als sinnvoll erachtet. Um den Ausschluss von Frauen aus den bestehenden, männlich dominierten Netzwerken zu beenden, werden weibliche Netzwerke allein vermutlich nicht ausreichen. Gemischte Netzwerke aus Männern und Frauen erscheinen eher zukunftsweisend.

Die Maßnahmen erfordern ein Umdenken und eine höhere Risikobereitschaft von den Akteur*innen in der Musikwirtschaft. Es ist zudem davon auszugehen, dass auch in der Musikbranche der Druck der nachwachsenden Generationen von Musikkonsument*innen steigen wird, etwas zu verändern und eine größere Vielfalt anzubieten.

Letztlich ist es an der Musikwirtschaft selbst, die Sichtbarkeit für Geschlechtervielfalt auch nach außen in der Vermarktung zu schaffen, indem entsprechende Musikprodukte angeboten, Quotenregelungen auf den Weg gebracht und Selbstverpflichtungen unterzeichnet werden. Bei dem aktuellen Stand der Musikvermarktung ist es für Konsument*innen derzeit noch schwierig, den Kauf an ausgewogener Geschlechtervielfalt auszurichten.

Eine detaillierte Zusammenfassung der Ergebnisse inklusive Grafiken steht hier zum Download bereit.