Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche wird zunehmend thematisiert. Es gibt bisher jedoch nur wenige Untersuchungen zur Situation in Deutschland. Die MaLisa Stiftung erweitert deshalb ihre Arbeit zur Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche verstärkt auch um Datenerhebungen in diesem Kontext: 2021 wurde zusammen mit Keychange und dem Reeperbahn Festival eine Studie zur Geschlechtervielfalt in der Musikwirtschaft und zur Musiknutzung initiiert und die Ergebnisse im Rahmen des Reeperbahnfestivals veröffentlicht. Außerdem führte die MaLisa Stiftung eine eigene Recherche zu Pop-Musikpreisen durch, in der fünf verschiedene Musikpreise analysiert wurden.
Für die Recherche wurden fünf deutsche Musikpreise nach der Geschlechterverteilung der Preisträger*innen anhand der Namen der Musiker*innen untersucht. Bei den fünf ausgewerteten deutschen Pop-Musikpreisen sind Frauen und nicht-binäre Personen deutlich unterrepräsentiert. Dies gilt sowohl für die Gewinner*innen aller fünf Pop-Musikpreise als auch für die Sonderauswertungen der Nominierten, Urheber*innen und Jurymitglieder.
METHODE
Diese Musikpreise wurden von 2016-2019 untersucht. Pandemiebedingt wurden mehrere Preise 2020 nicht vergeben. Für eine bessere Vergleichbarkeit wurden deshalb alle fünf Preise für den gleichen Zeitraum betrachtet:
Die Geschlechterverteilung wurde anhand der Vornamen der Musiker*innen ermittelt. Anhand der Vornamen ließ sich Nicht-Binarität in der Stichprobe in keinem Fall eindeutig erkennen.
Künstler*innen wurden einzeln gezählt. Bei Bands wurden alle Mitglieder gezählt, ebenso bei Produzent*innen-Teams. Für die Untersuchung wurden Preise ausgewählt, die sich auf populäre deutsche Unterhaltungsmusik fokussieren. Bei Preisen, die mehr Kategorien vergeben, wurden nur die aus dem Bereich der Popmusik einbezogen.
Bei drei der fünf Preise (1 Live Krone, Musikautorenpreis, Preis für Popkultur) wurden auch die Geschlechterverhältnisse bei den Nominierten und den Preisträger*innen analysiert. Bei den Preisen, die die Zusammensetzung der Jury veröffentlichen (Musikautorenpreis, Musikpreis des BDKV, Preis der deutschen Schallplattenkritik), wurde auch die Geschlechterverteilung der Jury ausgewertet.
ERGEBNISSE DER RECHERCHE:
Musikerinnen werden deutlich seltener mit Preisen ausgezeichnet als ihre männlichen Mitstreiter: Bei den Gewinner*innen für den Zeitraum 2016–2019 zeigt sich insgesamt ein deutlicher Männerüberhang von 83 Prozent.
Im zeitlichen Verlauf 2016–2019 zeichnet sich keine nachhaltige Veränderung ab: Über alle Musikpreise hinweg bleibt das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Preisträger*innen in diesem Zeitraum bei etwa 1:5.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass Frauen bereits bei den Nominierungen deutlich in der Unterzahl sein dürften. Eine Sonderauswertung von drei der fünf Musikpreise zeigt, dass sich die Geschlechterverteilung unter den Nominierten auch nur leicht verändert: 14 Prozent Frauen gesamtdurchschnittlich bei den Nominierungen, 12 Prozent Frauen bei den Preisträger*innen.
Die Analyse aller an Single- bzw. Albumproduktion beteiligten Komponist*innen, Textdichter*innen und Urheber*innen (laut GEMA-Verzeichnis) zeigt, dass auch hier das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ähnlich ausfällt.
Auch bei den Jurys für die Preisvergabe sind Männer klar in der Überzahl.
QUO VADIS MUSIKPREIS?
Musikpreise stellen ausgewählte Künstler*innen in ein besonderes Rampenlicht und verhelfen ihnen zu mehr Popularität und Karrierechancen. Sie haben damit eine wichtige Signalwirkung: für die Branche insgesamt, für Nachwuchskünstler*innen, und auch für Konsument*innen.
Die deutlich unausgewogene Geschlechterverteilung bei Nominierten, Preisträger*innen und Jurymitgliedern trägt zu einer Verfestigung und Verstärkung bereits bestehender Benachteiligungen von Frauen* in der Musikbranche bei.
Um dem entgegenzuwirken, sind Analysen der Ursachen für die Ausgrenzung von Frauen* sowie wirksame Maßnahmen für ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis auf den verschiedenen Ebenen der Musikpreisvergabe notwendig. Ein erster Schritt wäre, im Rahmen der Ausschreibung und Vergabe aller Musikpreise Transparenz über die Geschlechterverteilung von Jury, Nominierten und Preisträger*innen zu schaffen. Mehr zur MaLisa-Recherche hier.
Für die Studie zur Geschlechtervielfalt in der Musikwirtschaft und zur Musiknutzung kooperierte die MaLisa Stiftung mit der internationalen Initiative Keychange, die in Deutschland durch das Reeperbahnfestival vertreten wird. Durchgeführt wurde die Erhebung vom Meinungsforschungsinstitut Kantar.
Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen und Männer die Chancengleichheit in der Branche sehr unterschiedlich bewerten. Dies gilt sowohl für die Einschätzung des Status Quo als auch für die Wahrnehmung von Verbesserungen in den letzten fünf Jahren. Darüber hinaus zeigt sich, dass nahezu jede der befragten Frauen schon einmal diskriminierende Erfahrungen in Bezug auf ihr Geschlecht gemacht hat. Bei Musik-Konsument*innen wurde deutlich, dass verschiedene Altersgruppen unterschiedliche Perspektiven haben. Eine Reihe möglicher Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit wurde von den Befragten bewertet.
Studienkonzept und Methodik
Für die Studie wurden von April bis August 2021 verschiedene Befragungen durchgeführt und durch Informationen aus externen Quellen ergänzt.
Definitionen
KERNERGEBNISSE DER UNTERSUCHUNG:
Bestehende Geschlechterungleichheiten
Maßnahmen zur Verbesserung
Bestehende Geschlechterungleichheiten
Die Konsument*innensicht
Es ist essentiell, dass mehr Sichtbarkeit für Frauen und Geschlechterminderheiten in der Musikwirtschaft geschaffen wird und Chancen eröffnet werden.
Die Quote kann ein wirksames Instrument dafür sein, mehr Gleichberechtigung herzustellen. Empirische Beispiele belegen, dass dort, wo Quoten eingeführt wurden, der Frauenanteil steigt.
Auch Mentorings und weibliche Netzwerke werden als sinnvoll erachtet. Um den Ausschluss von Frauen aus den bestehenden, männlich dominierten Netzwerken zu beenden, werden weibliche Netzwerke allein vermutlich nicht ausreichen. Gemischte Netzwerke aus Männern und Frauen erscheinen eher zukunftsweisend.
Die Maßnahmen erfordern ein Umdenken und eine höhere Risikobereitschaft von den Akteur*innen in der Musikwirtschaft. Es ist zudem davon auszugehen, dass auch in der Musikbranche der Druck der nachwachsenden Generationen von Musikkonsument*innen steigen wird, etwas zu verändern und eine größere Vielfalt anzubieten.
Letztlich ist es an der Musikwirtschaft selbst, die Sichtbarkeit für Geschlechtervielfalt auch nach außen in der Vermarktung zu schaffen, indem entsprechende Musikprodukte angeboten, Quotenregelungen auf den Weg gebracht und Selbstverpflichtungen unterzeichnet werden. Bei dem aktuellen Stand der Musikvermarktung ist es für Konsument*innen derzeit noch schwierig, den Kauf an ausgewogener Geschlechtervielfalt auszurichten.
Eine detaillierte Zusammenfassung der Ergebnisse inklusive Grafiken steht hier zum Download bereit.
Artist: Antje Schomaker, Fotocredit: Markus Nass