Freitag, 18. November 2022

Veranstaltung „Geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen“

Photos: Lucia Eskes


Am 25. Oktober lud das Grimme-Institut mit der MaLisa Stiftung und der UFA GmbH in Kooperation mit der Deutschen Kinemathek zu der Veranstaltung „Geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen“ ein. Hintergrund für die Diskussion in Berlin war die gleichnamige Studie aus dem Jahr 2021.

Im November 2021 ist die Studie „Geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen“ veröffentlicht worden, ein Kooperationsprojekt der Hochschule Wismar und der Universität Rostock, durchgeführt von Prof. Dr. Christine Linke und Ruth Kasdorf M.A. Mit dieser Medieninhaltsanalyse liegt erstmals ein repräsentativer Überblick für deutsche Fernsehprogramme darüber vor, wie audiovisuelle Medien geschlechtsspezifische Gewalt darstellen. Die MaLisa Stiftung und die UFA GmbH haben sie initiiert und gefördert.


Bei der Veranstaltung „Geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen“ am 25. Oktober 2022 sprachen Journalist*innen und Kreative über die Studie und diskutierten Handlungsbedarfe. An der Diskussion nahmen Kathrin Hollmer (freie Journalistin und Vorsitzende der Nominierungskommission Fiktion des Grimme-Preises), Maria Furtwängler (Schauspielerin und Co-Gründerin der MaLisa Stiftung), Karin Heisecke (Leiterin der MaLisa Stiftung), Katharina Rietz (Produzentin, UFA Fiction GmbH) und weitere Branchenvertreter*innen teil, darunter Imogen Kimmel (Regisseurin und ProQuote Film) und Claudia Mikat (Geschäftsführerin, Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen). Es moderierte Klaudia Wick, Leiterin der Abteilung „Audiovisuelles Erbe – Fernsehen“ der Kinemathek.

Zur Einführung der Podiumsdiskussion stellte Stiftungsleiterin Karin Heisecke die Kernergebnisse der Studie vor. „In Deutschland hat jede dritte Frau körperliche und / oder sexualisierte Gewalt erlebt“, so Heisecke. „Vor dem Hintergrund haben wir uns gefragt: wie wird geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen dargestellt, wie wird sie inszeniert?“ Die Ergebnisse zeigten, dass geschlechtsspezifische Gewalt in rund einem Drittel (34 %) der Sendungen vorkam. Häufig handelte es sich dabei um explizite und schwere Gewalt gegen Frauen und Kinder.


„Da viele Frauen, also auch die potentiellen Zuschauerinnen, tatsächlich Gewalt erfahren haben, ist es wichtig, zu betrachten, ob und wenn ja, auf welche Art und Weise diese Gewalt dargestellt wird“, betonte Heisecke. „Die Perspektive der Betroffenen wurde nur in circa acht Prozent der analysierten Fälle deutlich. Es wurden keine Vorabhinweise über den Inhalt gezeigt, und nur sehr selten Informationen zu Unterstützungsangeboten für Betroffene. Der gesellschaftliche Kontext und die strukturelle Dimension der Gewalt wurden fast nie benannt, sondern das Gezeigte wurde meist als Einzelfall dargestellt.“


Wie können Medien Teil der Lösung werden?


Angesichts des tatsächlichen Ausmaßes von Gewalt gegen Frauen haben Medien eine gesellschaftliche Verantwortung. Wie könnte ein bewusster Umgang mit dem Thema aussehen, der der Dringlichkeit des Problems entspricht? Wie gelingt es, bestimmte stereotype Narrative zu durchbrechen und dennoch ein Genre zu bedienen? Und was bedeutet das fürs Geschichtenerzählen? Diesen Fragen stellte sich die Runde in der anschließenden Diskussion.


Journalistin Kathrin Hollmer sah Handlungsbedarf in der Erzählperspektive: „Es gibt so viel Raum im deutschen Fernsehen für die männliche Perspektive. Eine Änderung würde bereits darin bestehen, die Opferperspektive, die Bewältigung des Erlebten, in den Vordergrund zu stellen.“ Auch die Vielfalt des Geschichtenerzählens sei sehr begrenzt. Männer würden zum Beispiel meist nur Opfer von Gewalt, wenn sie Verbrechen begehen oder aufklären. „Es fällt hingegen sehr positiv auf, wenn Produktionen in andere Richtungen als das Stereotype gehen“, sagte Hollmer.

Von links: Kathrin Hollmer, Klaudia Wick, Katharina Rietz, Maria Furtwängler, Karin Heisecke.


Karin Heisecke verwies auf den Anspruch an Professionalität und Qualität der Arbeit: „Fachwissen zur Thematik und ein Bewusstsein bezüglich der möglichen Auswirkungen von Gewaltdarstellungen auf das Publikum sind Teil einer professionellen Arbeitsweise.“ Das Heranziehen von Expert*innen in der Entwicklungsphase von Programmen, sowie eine Verankerung der Themen bereits in der Ausbildung für Medienberufe könnten hier nachhaltig wirken. „Es ist zudem wichtig, sich während des Schaffungsprozesses zu hinterfragen: Warum erzähle ich diese Gewalt und wie erzähle ich sie?“


Triggerwarnungen seien sinnvoll, in der Praxis aber nicht immer leicht durchzusetzen, berichtete Katharina Rietz von der UFA GmbH: „Sie werden häufig nicht genehmigt oder die Verantwortung wird allein der Redaktion zugeschoben. Aber ich hoffe, die Diskussion läuft weiter, besonders weil wir schon positive Beispiele aus England und den USA kennen.“


Es braucht immer jemanden, der oder die den Anstoß gibt!


Maria Furtwängler, die seit 20 Jahren „Tatort“-Kommissarin Charlotte Lindholm verkörpert, erzählte, wie die Arbeit mit der MaLisa Stiftung ihre Sensibilität für Gewaltdarstellungen in den Medien geschärft hat: „Ich gehe mit einer größeren Sensibilität an die Sache, schaue sensibler Fernsehen. Zugleich regt die Diskussion mich dazu an, mich einzusetzen“, so Furtwängler. „Allein das Ansprechen der Darstellung von geschlechtsspezifischer Gewalt bei Partner*innen oder Produzent*innen ist wichtig und lohnt sich und regt bereits zum Nachdenken und zu Änderungen an. Ich gehe dabei mit einem gewissen Anspruch an Projekte heran und versuche, die Diskussion anzuregen und voranzubringen. Es braucht einfach immer jemanden, der oder die den Anstoß gibt!“


Die Veranstaltung war die zweite in einer Reihe mit dem Grimme-Institut und der UFA GmbH. Im Rahmen des Fachprogramms des Festivals „Tatort Eifel“ fand am 23. September bereits die Diskussionsrunde „Grimme trifft … Tatort Eifel – Geschlechtsspezifische Gewalt in deutschen Krimis“ statt. 


„Wenn Medien Gewalt gegen Frauen – in den Nachrichten oder im Krimi – thematisieren, dann können sie Teil des Problems, aber auch Teil der Lösung sein.“: Der Beitrag von Bärbel Röben auf mediendiversitaet.de zeigt, dass ein Umdenken in den Redaktionen dringend notwendig ist und macht Vorschläge, wie Medien den Wandel befördern können. 

Als Handreichung für Medienschaffende hat Karin Heisecke eine ausführliche Übersicht mit Handlungsoptionen, Tipps und Tools zum Umgang mit dem Medienthema „Gewalt gegen Frauen“ zusammengestellt. Das Spektrum reicht von kurzen und prägnanten Leitfäden, die als Checklisten für den Redaktionsalltag geeignet sind bis zu ausführlich einordnenden Analysen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen.


UNTERSTÜTZUNGSANGEBOTE FÜR BETROFFENE

Das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben.

Das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch berät Jugendliche und Erwachsene telefonisch und online vertraulich und datensicher zu allen Fragen, die mit dem Thema sexueller Missbrauch zu tun haben.

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